25.02.2020

BIOFACH? Was soll ich da?

In den Wochen der Vorbereitung auf diese wichtige Messe hat mich bewegt, was in vielen Gesprächen an Themen immer wieder auftaucht: 
- Macht das eigentlich Sinn, was wir seit vielen Jahren unternehmen? 
- Wie kriegen wir den Spagat hin zwischen unserem Bedürfnis, einen wirksamen Beitrag zu leisten für eine klimagerechte Zukunft und den Sehn-Süchten und Mechanismen des Marktes? 
- Hat sich mein Einsatz seit 30 Jahren gelohnt, frage ich mich, wenn ich deprimiert und wütend auf den FFF-Demos mitlaufe? 
- Oder wollen, müssen wir uns in unserem Tun nicht eigentlich viel radikaler in den Wandel einmischen, uns abkehren von gewohnten Schwarz-Weißbildern, Hebel suchen, neue Koalitionen eingehen, innovativ sein, loslassen? 

Wir freuen uns (ich inklusive!), dass wir Bio in die Mitte der Gesellschaft gebracht haben.
Aber ganz ehrlich: Es gibt zwar überall Bio zu kaufen, Bio ist in aller Munde, die landwirtschaftlichen Flächen nehmen zu, die Wunschziele je nach Bundesland auch, 25%, 30%. Klasse, dass sich hier endlich was bewegt! Aber was ist es real im Handel? +/-10% Marktanteil. Immer noch Nische. 

Ein anderes Beispiel, mein Kernthema Verpackung: 
Handel und Hersteller sind hier massiv unter Druck. Alle.
Kein Satz hat mich in der letzten Zeit mehr erschrocken als die Aussage mehrerer sehr engagierter Bioproduzenten: 
„Wir wissen, dass unsere Verpackung nicht die umweltfreundlichste ist und dass eine Plastikverpackung aus Monomaterial das Beste wäre. Aber das passt nicht zu unserer Marke und unsere Kund*innen wollen das nicht.“ 
Die Notlösung fast immer: hochwertiges Papier, „Bio“plastik oder Verbundmaterialien mit Packpapier, die ökofreundlich wirken. Dieses Dilemma habe ich mit meiner Packagingagentur viele Jahre erlebt. Gegenüber den Kund*innen wird aktiv kommuniziert, dass dies umweltfreundliche Verpackungen seien. Doch unser gutes Gefühl, das beruhigte Gewissen, Verpackungsmythen, sind im Widerspruch zu den tatsächlichen Fakten: Plastik wird zum Feindbild verteufelt, Papier zum allheiligen Alternativmaterial, Glas und vermeintlich kompostierbare "Bio"kunststoffe zur Weltrettung.  

Als Verpackungsexpertin bin ich Mitglied im hochkompetenten Arbeitskreis CIAP für nachhaltige Verpackungslösungen aus Industrie, Handel, Herstellern, NGOs und Entsorgern. Was ich immer wieder höre:

  • Das Wort BIO ist bei der Verwendung von "BIO"kunststoff schlecht gewählt und missverständlich, das Material per se ist NICHT nachhaltiger und nicht kreislauffähig, nur weil es aus nachwachsenden Rohstoffen ist. Und schon gar nicht "bio" in unserem Branchen-Verständnis. 
  • Hochwertiges Papier zu verwenden ist konktraproduktiv. Wir können es uns nicht erlauben, noch mehr Bäume für Verpackungsmüll zu schlagen, erst recht nicht, wenn diese Lebensmittelverpackungen dann noch von innen mit Kunststoff oder gar Aluminium kaschiert werden. Packpapier ist kein Recyclingpapier, es tut nur so...
  • (Einweg-)Glas hat eine katastrophale CO2-Bilanz beim Transport.
  • Baumwolltaschen, die in der Wirklichkeit viel zu selten wieder verwendet werden, sind um Lichtjahre schädlicher als Einwegplastiktüten.
  • Und ja: Es gibt da auch noch das grauenhafte Plastik im Meer, ein Disaster und ein echter Zielkonflikt. 
  • Und obwohl viele von uns diese Fakten kennen, werden genau diese Verpackungsarten als nachhaltige Lösung aus der Verpackungskrise propagiert!

Ich habe noch keine Antworten auf diese Konflikte, aber klar scheint mir, dass wir mit Teildiskussionen und Mythenverstärkung nicht weiter kommen. Wir müssen den gesamten Produktzyklus stärker berücksichtigen, forschen, Innovation ermöglichen. Ich erlebe die konventionelle Seite der Wirtschaft in dieser Suche als sehr engagiert, suchend, interdisziplinär, sachlich im Austausch, auch unter Mitbewerbern.  
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Welche Möglichkeiten haben wir, unser System nachhaltiger zu gestalten?
Was bei der nachhaltigen Ausrichtung unserer Unternehmungen auf jeden Fall hilft, nicht nur beim Thema Verpackung:

  • Ziel- und ergebnisorientierte, klar priorisierte Prozesse, die sich am Ziel der nachhaltigen Entwicklung ausrichten
  • Konsequente Ausrichtung der Marke auf Nachhaltigkeit > konsequente Ausrichtung von Führung, Strategie, Sortiment, Kommunikation auf die Marke
  • Interdisziplinäre Cokreation: raus aus dem Ab-Teilungs-Silodenken, raus aus der Konkurrenzdenke
  • Faktenbasierte Entscheidungen statt emotionaler Marketinglösungen
  • Keine mutwillige Täuschung, wenn wir eigentlich wissen, dass wir etwas falsch machen
  • Trends aktiver nutzen (ich meine nicht kurzfristige Hypes sondern langfristige Megatrends wie Minimalismus oder Neoökologie)
  • Zeitgemäßes – aber zielorientiertes – Design als immer machtvoller werdendes Erfolgswerkzeug viel mehr nutzen ("Gefällt MIR ist kein Argument")
  • Behaviourdesign, das eine Verhaltensänderung im Sinn hat – und nicht nur mehr Umsatz
  • Tatkräftige junge Menschen in den Unternehmen, die unser Gesamtziel teilen, in entscheidende Positionen bringen, dort gestalten lassen und sie nicht ständig durch Zweifel, Bewahren und Angst ausbremsen
  • Innovationsbereitschaft
  • Offenheit – und Dinge loslassen, die nicht auf unser großes Ziel einzahlen
  • Eine hohe Frustrationstoleranz und Liebe uns selbst gegenüber, wenn es uns nicht gelingt, die perfekte Lösung zu finden. Austausch darüber.

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Was wäre denn eine unternehmerische Vision?
Radikal gedacht bringt es unter CO2- und Ressourcenaspekten viel mehr, überflüssige oder gar wissentlich schädliche Dinge nicht mehr zu verkaufen als sie hübsch nachhaltig zu verpacken! (Jaaaaa – das braucht einen sehr kritischen Blick in die Sortimente!) 

- Ist meine Marke, unser Produkt so denn überhaupt zukunftsfähig? 
- Wenn nicht so, wie könnte eine echte Innovation aussehen? 
- Gibt es andere Lösungen der Ertragsmöglichkeit?
- Gibt es Anknüpfungspunkte für Reduce, Reuse, Recycle, Teilen, die Ressourcen schonen und wirklich nachhaltig sind? (statt „ecofriendly-looking“ Packages...) 

Der Hebel Verpackung ist nicht groß, der Hebel Rohstoffe, Transport, Warenströme, Kreislaufwirtschaft dagegen schon. 
- Wo sind die Hebel in unserem Handeln? 
- Was wäre eine echte und attraktive, skalierbare Innovation? 
- Wie kriegen wir diese marktfähig und wie kommen wir da hin? 

Ich wünsche mir, dass wir mutiger, mehr miteinander die Zukunft und unsere Marken gestalten, raus aus alten Feindbildern von Bio und konventionell, das Beste aus jedem Bereich und die mutigsten, kreativsten Köpfe zusammen stecken. Innovativ, cokreativ, agil, offen, wertschätzend – plus unsere Erfahrung aus vielen Jahren. Ohne verzweifeltes Festhalten.   
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Es gibt viele ermutigende Beispiele 
Essen kann man vielleicht nicht teilen wie Autos oder Fahrräder, aber gemeinsam mit den Erzeuger*innen neue Systeme entwickeln schon. Mich nähren die zuversichtlichen, tatkräftigen Menschen in meinen Projekten, die bewährte Systeme neu verknüpfen: 

>>> Das Projekt FoodHub in München, das das Ziel hat, Höfe zum Umstellen zu bewegen, gleichzeitig neue Vermarktungswege zu erschließen und durch aktive Beteiligung Bio für Menschen der Gesellschaft möglich zu machen, die sich bisher kein Bio leisten konnten – und so durch einen neuen Vertriebskanal 35% Bio wahrscheinlicher zu machen. 

>>> Die solidarische Landwirtschaft ist ein tolles Beispiel dafür, das längst über den romantischen „Bauernhof“ hinaus geht. Das CSX-Netzwerk, initiiert von Christoph Spahn, oder die Verbrauchergemeinschaft TEIKEI COFFEE sind für mich Leuchtturmprojekte. 

>>> Das Sozial-Startup Kuchentratsch, das alten Menschen über eine unternehmerische Lösung mehr Teilhabe verschafft (und nebenbei die besten Kuchen Münchens backt :-). 

>>> Oder das Online-Magazin Perspective Daily, das lösungsorientierten Journalismus zu den schwierigen Themen unsere Zeit bietet. Lesenswert! 

>>> Oder das Bündnis Entrepreneurs4Future, das der nachhaltige Unternehmensverband UnternehmensGrün mit initiert hat. Bisher 4.456 Unternehmen haben sich hier zusammen getan, um mit gemeinsamer Stimme die Forderungen von Fridays for Future zu stärken und den Druck auf die Politik zu erhöhen. 
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Überall geht es um Verbindung, um das Knüpfen neuer Beziehungen, um Veränderung. Ich bin übrigens überzeugt davon, dass wir als nachhaltige Unternehmen viel stärker politisch wirksam sein könnten – oder sogar müssten? Dazu moderiere ich am kommenden Donnerstag für UnternehmensGrün ein Best Practice Worldcafe beim BIOFACH-Kongress. > hier mehr dazu

Die BIOFACH, UnternehmensGrün, der CIAP Club für nachhaltige Verpackungslösungen oder meine Jurytätigkeit beim IF Designaward sind für mich wichtige Gelegenheiten, genau solche Menschen zu entdecken und zu treffen.  

Diesen Gedanken würde ich Euch gern als roten Faden, als Suchauftrag mitgeben: 
Welche neuen, interdisziplinären, innovativen Projekte und Macher*innen kennt ihr, findet Ihr auf der BioFach? Oder in Eurem Aktionsfeld? Könnt ihr sie sammeln und mir von ihnen erzählen, damit wir gemeinsam noch mehr Synergien erzeugen und die Gesellschaft verändern können? 

Lasst uns darüber sprechen, wo die Hebel sind in unseren Unternehmen und unserem Tun, wie wir uns gegenseitig dazu ermutigen können, radikaler zu werden. 

Unser Ziel, mein Ziel ist 100% Bio. 
Und viel mehr Kreislaufwirtschaft. 
Und mehr Verhaltensänderung pro Nachhaltigkeit.
Was ist Deines? Was ist Ihres? 

Wir können die Klimakrise als aussichtslose Krise sehen und verzweifelt die Flügel hängen lassen. Wir können daraus aber auch eine Chance für unseren Bereich machen: 90% noch nicht erschlossener Markt! Wow, was für eine Möglichkeit. 

Zurück zum Anfang also: 
BIOFACH, was soll ich Da?
Euch und Sie treffen, Beziehungen nähren!  

Wann sehen wir uns wo?
Ich freue mich drauf, 

Martina Merz [ mërz punkt ] 
Strategie und Designberatung für nachhaltige Marken

Lohnende Veranstaltungen, bei denen man mich treffen kann
B I O F A C H

Entrepreneurs 4 Future 
Welchen Stellenwert hat Corporate Political Responsibility CPR für die Biobranche.

Als Vorständin von UnternehmensGrün moderiere ich auf der Biofach am Donnerstag spannende Bestpractice Impulse mit interaktivem Worldcafé. Mit: Alnatura, Einhorn, Taifun, UnternehmensGrün

Donnerstag, 13.2.
13:00 - 14.45 Uhr
Raum Seoul                            >> mehr dazu
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M Ü N C H E N | MCBW | Startup Symposium mit Ausstellung 

Einen vielfältigen Blick auf Startups zum Thema Innovation und Design moderiere ich im Rahmen der renommierten MCBW Munich Creative Business Week.
Welche aktive Rolle spielt Design, um Produkte und Dienstleitungen neu zu denken? 
Wie werden Innovationen in die Praxis umgesetzt? Was motiviert zur Innovation?
Mit: 4tiitoo, ACM Adaptive City Mobility, Aerofoils, Annu, Cosinuss, flissade, HEAVN, Höfats, Pfeffer & Frost, Sandhelden, Sono Motors, UrmO, WYE Design

Dienstag, 10.03. 
17:00 - 22:00
Flughafen München Pressezentrum       >> mehr dazu
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M Ü N C H E N | UNTERNEHMENSGRÜN | Münchner Unternehmensgespräche

„CO2 - Die neue Zukunftsanleihe? Hebelwirkung für den Klimaschutz!“
In der Münchner GLS Bank diskutieren u.a. Dr. Michael Holzner (Geschäftsführer iCONDU GmbH), Ulf Sieberg (CO2 Abgabe e.V.) moderiert von Talents4Good und modem conclusa

Dienstag, 03.03.
20:30 
GLS Bank München                      >> mehr dazu

Aktuelle Projekte
Vor einem Jahr habe ich meine klassische Designagentur mërz punkt aufgelöst und arbeite seither als multimodale Netzwerkberaterin in den Bereichen Markenstrategie und Design, um nachhaltige Marken zu schärfen und die Umsetzung machbar, sichtbar und eindeutig auszurichten.   

Ich bin dankbar für viele spannende Workshops und Projekte im vergangenen Jahr, zum Beispiel mit: 
bayern Design | Bergsteiger Magazin | Bingenheimer Saatgut | Bioland, Bodan *WIR* | FoodHub München | GEPA | greenerist | Hof Butendiek | KOFU | Kuchentratsch | Ökoland | Pilze Wohlrab 
Primavera | Söbbeke | Tollwood